Berlin ist gespickt mit Räumen, in denen Ideen sprießen und sich kluge und kreative Köpfe finden. So auch im Reuterkiez, in einem Hinterhof in der Pflügerstraße. In den ehemaligen Räumen einer Druckerei tummelt sich einer dieser findigen: Andree Weißert. 2009 gründete er dort saw, ein Studio für Gestaltung mit einem Fokus auf Architektur, Raumkonzeption und Möbeldesign. Nach mehr als 12 Jahren praktischer Tätigkeit als Zimmerer, Gestalter und Projektarchitekt sowie theoretischen Arbeiten zum Thema Raum, bietet der gebürtige Hamburger Beratung, Planung und Projektleitung für kommerzielle und private Kunden an und arbeitet kontinuierlich an freien Entwürfen. Als Butshi Möller entwickelt er in seinem Studio Prototypen, Objekte und Ideen.
An einem Sonntagabend in diesem Winter sitze ich mit ihm an einem seiner Werke. Es heißt „U1 – Görlitzer Bahnhof“. Der Tisch trägt mit Fug und Recht diesen Namen. Er basiert auf dem statischen Konstruktionsprinzip der Hochbahnviadukte, die die U1 durch die Skalitzerstraße führen. Hier sieht er aus, als Ruhe er in sich und habe von da aus einiges zu erzählen.
In unserer Unterhaltung über identitätsstiftende Prozesse, Berlin und Weißerts Doppelleben, verschmelzen Weißert und sein Alter Ego Möller Möller einige Male in einem herzlichen Lachen. Begleitet werden wir drei von zwei Flaschen Rotwein.
Autor: Wer ist Butshi Möller?
Andree Weißert: Butshi war ein Vogel. Möller ist der Familienname meiner Mutter. Ich schätze die Familie Möller sehr.
Autor: Was macht Butshi Möller? Ist er Künstler oder Designer?
Andree Weißert: Butshi ist eine zweite Identität. So stelle ich mir mich als Marke vor. Butshi Möller guckt sich die Welt an, wie sie ist, zieht daraus seine Schlüsse und komponiert Antworten. Nicht unbedingt Lösungen, aber Antworten. Nicht immer sinnvoll, manchmal im Scherz gemeint. Es sind immer Meinungen zu einem Thema. Butshi Möller ist aber nicht intellektuell, eher bodenständig. Zum Teil ist er ein ziemlicher Proll und setzt gerne noch einen drauf. (lacht) Künstler ist er nicht, weil er viel zu kommerziell orientiert ist.
Butshi Möller: Designer ist ein scheiß Wort, weil es so inflationär benutzt wird. Ich will nicht irgendwelche Oberflächen hübsch machen. Den Begriff Gestalter finde ich gut. Ich will eine gute Form finden, wie Dinge funktionieren. Wenn man ein schlüssiges System gefunden hat, wie etwas zusammenwirkt, entsteht daraus eine Selbstverständlichkeit. Dann ist es proportional und sieht gut aus. Eine Logik vermittelt ja auch eine Harmonie.
Designer, Künstler oder Gestalter. Intellektuell oder nicht. Wie man es auch nennen will. Im Laufe des Abends beflügeln Weißert und Möller immer wieder gegenseitig ihre Gedanken. Sie reden und denken gerne miteinander und gleichen einer sehr produktiven Doppelhelix.
Butshi Möller: Mich fasziniert, dass man aus billigem Bauholz und Farbe einen hohen Grad an Eleganz herstellen kann. Das finde ich wesentlich interessanter als ein Objekt durch die Kosten seines Materials aufzuladen und aufzuwerten. Was man hineingibt, macht den Wert. Wichtig ist die Idee und der Prozess. Aus Scheiße Gold machen, lautet die Devise. (Weißert und Butshi lachen freudig)
Autor: Ist Eleganz das Prinzip, das du anstrebst?
Andree Weißert: Gute Gestaltung hat immer etwas mit einer präzisen Form zu tun. Und das ist dann zwangsläufig elegant. Das heißt nicht, dass das Objekt unbedingt grazil ist. Es kann zum Beispiel auch grob in seiner Haptik und trotzdem elegant sein. Elegant ist kein Pelzmantel, sondern eine Haltung und ein Ausdruck. Dabei suche ich eher die Schönheit als die Provokation.
Auch wenn Butshi Möller und Andree Weißert sich auch mal widersprechen, ein gemeinsames Motiv verbindet sie: der Prozess.
Andree Weißert: Der Prozess ist ganz wesentlich. Dabei ist mir das ganze Arbeitsumfeld wichtig. Das Entstehenlassen ist ein sehr gutes Daseinsgefühl. Ich wünsche mir, dass Handwerker, die mein Zeug bauen, sich dafür begeistern. Ich versuche Prozesse zu gestalten, in denen die Leute involviert werden, auch die Handwerker.
Entscheidend für mich ist, ein Prozess herzustellen, in dem Bauen als etwas Schönes zelebriert wird, als ein Miteinander von Leuten, die etwas entstehen lassen.
Butshi Möller: So kannst du dir jedes Luxusprojekt schönreden und legitimieren.
Andree Weißert: Ich kann damit über einen vernünftigen Bedarf Schönheit herstellen. Das versuche ich in einem hochwertigen zwischenmenschlichen Prozess. Wenn das gelingt hat Luxus auch eine Legitimität. Fair trade-Luxus sozusagen.
Butshi Möller: Der meiste Luxus ist nicht fair trade. Es entstehen in Berlin Luxuswohnungen, von denen der Quadratmeter 6000,- Euro kostet – gebaut von bulgarischen Schwarzarbeitern, die 5 Euro in der Stunde verdienen. Das stinkt.
Andree Weißert: Das kommt bei mir nicht vor. Und wenn Butshi Möller Möbel entwirft, arbeitet er auch einen Prozess mit aus. Er interessiert sich nicht so sehr für industrielle Stückzahlen und Prozesse, sondern vielmehr dafür, wie über die Produkte gleichsam eine sinnvolle und idealerweise befriedigende Beschäftigung für hoch qualifizierte Handwerker oder aber auch für Menschen mit Behinderung gesichert werden kann.
Butshi Möller: Schließlich werden diese Produkte alle nicht wirklich gebraucht, weil es sie schon tausendfach gibt. Und wenn ich schon Produkte herstelle, die eigentlich überflüssig sind, dann gestalte ich doch zumindest mit ihnen einen Prozess, der einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen hat.
Es bereitet Vergnügen, uns an diesem Tisch den Wein einzuschenken. Der „U1 – Görlitzerbahnhof“sieht nämlich nicht nur verdammt gut aus, er hat auch eine Geschichte.
Butshi Möller: Ich habe nicht den Anspruch gehabt, einen tollen Tisch zu bauen, sondern wollte die Konstruktion ausprobieren. Das billigste Holz habe ich genommen und habe nie zwischengeschliffen. Ich habe es einfach angepinselt und zusammengehauen. Und wenn irgendetwas nicht gepasst hat, habe ich es zusammengezwungen. (Er rüttelt am Tisch und lacht. Ja, der steht!) Funktioniert. Auch wenn das so’n Dirty-Schnellschuss-Prototyp ist, diesen Tisch gibt es jetzt. Der ist da – und landet nicht irgendwann in die Feuerholzkiste. Und wenn ich ihn nicht mehr habe will, werde ich ihn an die Straße stellen. Dann kommt jemand vorbei und sagt: Wow, den will ich haben! – Der Tisch ist nicht nur eine grafische Meisterleistung (lacht), vor allem wohnt in ihm der Prozess, das ganze Denken, das sich darum spinnt, dass da jemand von Hand dreihundert Nägel reingehauen hat. In diesem Prozess hat der Tisch ein Eigenleben entwickelt.
Autor: Du kommst aus Hamburg. Butshi auch? Oder ist er eher Berliner?
Andree Weißert: Er hat schon viel mit Berlin zu tun, weil seine Ideen in einem relativ klischeehaften Berliner Milieu entstehen: In einem Studio, in dem man sich Arbeitsplätze mit anderen Leuten teilt – in einer Werkstatt, die eigentlich keine Werkstatt ist. Es gibt also eine improvisierte Basis, von der aus sich die Sachen formen und aus der das Denken resultiert. Anders als in München, wo alles fertig ist, gibt es in Berlin viel Improvisiertes. Diese Attitüde des Nichtperfekten und Charmanten begeistert mich mehr. Wenn ich mit einfachen Materialien arbeite, schließt das daran an. Wenn ich in München leben würde, wäre ich ich wahrscheinlich gediegener und angepasster und würde alles dunkelbraun beizen. Butshi Möller fühlt sich mit seinen Dingen und Denken hier in Berlin verstanden.
Autor: Was stört dich an Berlin?
Andree Weißert: Eigentlich nichts. Ich fühle mich wohl. Ich finde die Stadt manchmal schön und manchmal hässlich.
Autor: Was magst du am liebsten an Berlin?
Andree Weißert: Eigentlich dass es eine Stadt in Deutschland ist, die so undiszipliniert, so untugendhaft, so viele Gesichter hat und so viele unterschiedliche Menschen anzieht. Ja, ich mag, dass sie so undeutsch ist.
Autor: Wie wird es mit Butshi Möller weitergehen?
Andree Weißert: Aus Butshi Möller soll eine Plattform entstehen, die durchaus Geschäft und Lebensgrundlage ist. Auf ihr sollen Ideen und Konzepte entwickelt werden, die vor allem einen starken kommunikativen Aspekt haben. Zudem will sich Butshi Möller auch anderen Gestaltern öffnen, so dass aus Kooperationen kommunikative Produkte entstehen. Nicht nur Möbel. Gerne alles. Im weitesten Sinne Gebrauchsgegenstände. In jedem Gebrauchsgegenstand steckt eine Aufforderung zu einer Art des Handelns.
Autor: Deine Arbeit ist also auch eine Aufforderung?
Butshi Möller: Ja. Und dies soll immer eine lebensbejahende Freude sein. Es wird nie etwas Dunkles oder Böses sein. Das Label Butshi Möller wird immer ein Spielfeld sein. Es wird niemals seriös werden. (Weißert und Möller lachen herzlich)
Autor: Habt Ihr eine Vorstellung, wie es mit Berlin weitergeht?
Andree Weißert/Butshi Möller: Ja, eine positive und eine negative. Die negative zuerst: Freiräume gehen immer mehr verloren. Berlin wird weiter hauptsächlich auf Tourismus ausgerichtet, so dass es vor allem ein inszenierter Erlebnisort ist. Viele strategische und stadtplanerische Entscheidungen werden mit diesem Fokus gefällt. Die Bewohner werden dabei mehr und mehr zu Statisten. Berlin wird so zu einem Ort der Attraktion und zum Marktplatz.
Andererseits ist Berlin nach wie vor eine Stadt im sehr bürgerlichem Deutschland, die weiter ein starker Generator für andere Lebensentwürfe sein kann und sein sollte. Sie ist in viele Richtungen offen. Dazu würde ich auch das ländliche Brandenburg zählen. Viele Impulse gehen aus Berlin in die Region. Es ist nicht wie andere Städte sehr stark auf ein Zentrum fokussiert. Die Stadt hat viele Zentren und hat keine Hemmungen, sich auch auszubreiten. Somit kann Berlin mit seinen Auswüchsen immer ein experimenteller Ort sein. Mindestens innerhalb Deutschlands. Zudem relativiert Berlin das Deutsche, dadurch dass es ein internationaler Platz ist. Durch Berlin kann man das Deutsche als etwas Offenes und Globales verstehen. In der Stadt manifestiert sich, dass die Vielfalt einen höheren Wert hat als die Monokultur. Das wird man Berlin nicht nehmen können. Das ist toll. Die Stadt ist das, was sie ist, weil sie offen für die ganze Welt ist. Das wird nicht so leicht zu deinstallieren sein.
Darauf trinken wir.
Autor: Prost.
Andree Weißert: Zum Wohl.
Butshi Möller: Prosit!
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Text: Christoph Kalbitzer